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In einem der lauschigen Innenhöfe (Foto: © Ritu Manoj Jethani)
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Tourguide Rick Rose in Höchstform (Foto: © Dirk Rheker)
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Clock Tower am Ende der Worth Avenue (Foto: © holbox)
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Addison Mizner prägte das Bild der Stadt (Foto: © Historical Society of Palm Beach County)
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Prachtstraße unter Palmen (Foto: © Ritu Manoj Jethani)
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Schon immer zeigte man hier, was man hat – und was man fährt! (Foto: © Historical Society of Palm Beach County)
Der Maestro ist in seinem Element. »Addison Mizner war schon ein sehr exzentrischer Architekt«, doziert Rick Rose mit Verve – und zeigt wie ein Dirigent auf die Fassade des Everglades Clubs an Palm Beachs feiner Worth Avenue. »Er hielt nichts von Plänen und war berüchtigt, weil er seinen Arbeitern immer nur ungefähre Angaben machte.« Mizner sei vernarrt gewesen in den verlotterten Look italienischer Palazzi und habe seine eigenen Kreationen auf alt getrimmt, indem er künstliche Wurmlöcher ins Holz bohrte und die Wände mit Flecken verschandelte, die einen dekorativen Renaissance-Pilzbewuchs vortäuschen sollten. Wenn seine Arbeiter einen handwerklich perfekten Kaminsims oder eine Tür fertiggestellt hatten, habe er oft mit einem Vorschlaghammer eine Ecke abgeschlagen, damit das Bauelement ein altehrwürdiges Aussehen bekam. »Manche Kritiker«, entgegnet Rick auf die ungläubigen Blicke vieler Tourteilnehmer, »zählen den Everglades Club gleichwohl zu den schönsten Gebäuden in Amerika«. Ein elegantes Refugium mit einem etwas verunglückten Start freilich: Eigentlich hatte der in Frankreich geborene Paris Singer seinen Freund Addison Mizner im Frühjahr 1918 mit dem Bau eines Krankenhauses für Verwundete des Ersten Weltkriegs beauftragt. Singer lieferte bereits die Ausstattung für Operationssäle an. Doch das Ende des Waffengangs ließ das Hospital überflüssig werden. Singer und Mizner zeigten sich pragmatisch und wandelten das Gebäude kurzerhand in einen privaten Club für die Upperclass um.
Unser Tourguide hält einen Moment inne. Vielleicht auch, um dem Meister ein wenig Reverenz zu erweisen. Denn trotz seiner Exzentrik wurde Mizner überall bewundert. Und ist bis heute wie niemand sonst verantwortlich für all die Pracht und die Herrlichkeit der Worth Avenue, der bekanntesten Shoppingmeile von Palm Beach. Ach was, ganz Floridas. Auf einer Länge von drei Straßenblocks ballt sich hier Luxus pur: Van Cleef & Arpels, Louis Vuitton, Valentino, Cartier, Salvatore Ferragamo, Brooks Brothers, Giorgio Armani, Hermès, Tiffany, Gucci, Chanel oder Polo Ralph Lauren. Die Auslagen strotzen vor Pelzen, Diamanten und Antiquitäten. Feinstes Pflaster, auf dem der nächste Maybach, Rolls-Royce und Ferrari nie weit entfernt ist. Unsere rund drei Dutzend zählende Gruppe, die sich an diesem sonnigen Mittwochmorgen am Brunnen der Via Amore getroffen hatte (»gegenüber von Tiffany, bitte pünktlich sein«), zieht weiter.
Seit einigen Jahren führt Rick Rose historisch interessierte Besucher durch die Geschichte dieser glamourösen und manchmal auch verrückten Straße. Mit seinem Panama-Hut, dem karierten Leinensakko, der Fliege und den edlen Stubbs-&-Wootton-Slippern – so etwas wie die inoffizielle Fußbekleidung des Palm-Beach-Gentlemans – personifiziert er selbst auf beste Weise den Esprit, die spielerische Eleganz und den Sinn für Mode, die für diese Stadt so typisch sind. Als Besitzer des romantischen Grandview Gardens Bed & Breakfasts auf der anderen Seite des Lake Worth sorgen Rick und sein deutscher Partner Peter seit einigen Jahren für das Wohl
ihrer Gäste. Als Gastgeber der »Historical Walking Tour of Worth Avenue« begeistert er die Besucher mit historischem Wissen und augenzwinkernden Anekdoten. »Rick ist inzwischen selbst eine Institution hier in Palm Beach«, schwärmt Robin Miller von der Worth Avenue Association, die die Touren veranstaltet. 10 Dollar kostet der geführte Spaziergang pro Teilnehmer, der Erlös geht an die Tri-County Humane Society, die sich um herrenlose Haustiere kümmert. Wohltätigkeit, sich für soziale und humanitäre Dinge zu engagieren – auch so ein typisches Merkmal dieser Stadt. Trotz des zuweilen
hemmungslos zur Schau gestellten Hedonismus.
Weiter geht es in die Innenhöfe der Via Parigi. Schon Anfang des letzten Jahrhunderts fanden hier wöchentliche Modenschauen statt, manche Fashiontrends wurden hier geboren. Etwa die bunten Outfits der Lilly Pulitzer. Im Jahre 1950 hatte die Lady Peter Pulitzer geheiratet, einen Enkel des Millionärs und notorischen Playboys Joseph Pulitzer, und mit ihm fortan auf seiner Zitrusplantage in Palm Beach gelebt. An einem Stand auf der Worth Avenue servierte sie damals Orangensaft – und um sich und ihren Angestellten Probleme mit Saftspritzern auf blütenweißen Kitteln zu ersparen, entwarf sie ihre ersten knallbunten Kleider und nannte sie später »classic shift dress«. Jacqueline Kennedy gehörte zu den Ersten, die ihre Kollektion trugen. Und Lilly wurde bald selbst zur Mode-Ikone.
Weiter entlang der mediterranen, von herrlich pinkfarbenen Bougainvilleen bewachsenen Fassaden mit ihren romantischen Rundbögen, malerischen Erkern und verwitterten Pergolen. Begonnen hat hier alles – wie so vieles in Florida – mit Henry
Flagler, der 1894 das erste Hotel in Palm Beach erbaute: das Royal Poinciana. Um die Nachfrage zu befriedigen, folgte The Breakers – seither ein Inbegriff für Noblesse und Luxus. Später baute das »neue Geld« hier prächtige Winterwohnsitze. Zu den ersten Wintergästen gehörten berühmte Familien wie Astor, Dodge, Ford, Post, Hutton und Kennedy. »Die Nachkommen vieler dieser Dynastien leben noch immer in Palm Beach«, erklärt Rick Rose. Und alle liebten den von Addison Mizner geschaffenen
Mediterranean-Revival-Stil, ein sehr amerikanischer Stilmix aus Bewährtem der alten Welt. Maurisch angehauchte Arkaden in Pink treffen hier auf Renaissancebögen und spanische Kacheln. Eigentlich eine Unmöglichkeit. Doch immer umweht von luxuriösem Mittelmeerflair. Inoffizielles Stadtoberhaupt war schon vor seiner Wahl ins Präsidentenamt Donald Trump in seinem Club Mar-A-Lago. Wobei ihn viele der alteingesessenen Bewohner noch immer für einen Parvenü halten. Aber das ist
eine ganz andere Geschichte... Statt über den neuen Chef im Weißen Haus spricht Rick Rose lieber noch ein bisschen überMizner. Bisweilen habe dieser an mehr als einhundert Projekten gleichzeitig gearbeitet. Selten hätten seine schwerreichen Kunden im Vorhinein gewusst, ob sie am Ende eine Hazienda im mexikanischen Stil, einen schmucken venezianischen Palazzo, einen maurischen Palast oder eine eklektische Mischung aus allen dreien beziehen würden. Das Genie ließ sich nur ungern dreinreden.
Wir kommen zum Ende unserer Tour. Und zu einem Thema, das trotz (oder gerade wegen) des immensen Luxus in Palm Beach hier immer allgegenwärtig war: dass auf einen kometenhaften Aufstieg gelegentlich auch ein tiefer Fall folgen kann. Im Laufe der Zeit, so berichtet Rick Rose, sei Addison Mizner immer verschrobener geworden. Irgendwann habe man ihn am helllichten Tag in Morgenmantel und Pyjama ziellos durch die Seitengassen der Worth Avenue schlendern sehen. Letzte Gönner zahlten heimlich seine Rechnungen. Im Jahre 1933 starb der geniale Architekt an einem Herzinfarkt. Verarmt und halb vergessen.
HISTORICAL WALKING TOUR OF WORTH AVENUE
Von Anfang Dezember bis Ende April jeden Mittwoch 11 Uhr
Dauer: 1,5 Stunden
Kosten: 10 Dollar
Treffpunkt: 256 Worth Avenue/ViaAmore in Palm Beach
Telefon (561) 655-1996,
Außerhalb der Wintersaison können Gäste des Grandview Gardens Bed & Breakfasts
individuelle Touren mit Rick Rose vereinbaren.