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Clevere Geschäftsidee: Foreclosure-Tour-Organisator Marc Joseph.(Foto: © Florida Sun Magazine 04/2008)
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Nächster Halt: Zwangsversteigerung.(Foto: © Florida Sun Magazine 04/2008)
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Diese Schilder findet man immer öfter in Amerika.(Foto: © Florida Sun Magazine 04/2008)
Marc Joseph ist Immobilienmakler in Fort Myers. Ein Job, um den er derzeit eigentlich nicht zu beneiden wäre. Allein in Lee County betrug die Zahl der Zwangsvollstreckungen im Juni dieses Jahres 3.749 Objekte. In Cape Coral, der besonders bei Deutschen beliebten Wohngegend mit hübschen Einfamilienhäusern und Zugang zum Golf von Mexiko, hat es in den vergangenen Wochen Hunderte »Foreclosures« (Zwangsvollstreckungen) gegeben. Schwierige Situation.
Aber heute geht es nicht um Trübsalblasen, sondern um Aufbruchstimmung. Joseph leitet eine Bustour zu leer stehenden Häusern, auf der Kaufinteressierte von den Immobilien überzeugt werden sollen. Der Makler begrüßt ein gutes Dutzend potenzieller Käufer in seinem grün gestrichenen Vehikel (Motto: »Watch your investment grow!«). Keines der Häuser sei perfekt, sagt Joseph, während seine Mitarbeiterin gekühlte Getränke und Sandwiches anbietet. »Aber viele sind in überraschend gutem Zustand.«
Die Idee für die Busfahrt hatte Joseph, der seit 17 Jahren im Immobiliengeschäft in Südwestflorida tätig ist, schon vor einigen Monaten. »Die Hauspreise sind so tief wie seit Jahren nicht mehr«, sagt der Leiter der »Foreclosure Tours R Us«. Jetzt sei der richtige Moment, zuzuschlagen und sich Schnäppchen zu sichern.
Während seiner rund zweieinhalbstündigen Touren chauffiert der findige Unternehmer seine Gäste mal zu Häusern mit angesagten Preisen von über einer halben Million Dollar in South Fort Myers, Miromar Lakes oder den Gulf Harbour Townhomes. Dann wieder organisiert er Trips zu preiswerteren Objekten in weniger exklusiven Nachbarschaften. »Die Nachfrage ist da – wir müssen nur entsprechend auf sie reagieren«, verscheucht Joseph das allgemeine Lamento, das sich in den vergangenen Jahren über seine Branche gelegt hat.
Heute steht die Tour unter dem Motto »Handyman Special« – Häuser für Leute mit niedrigem Einkommen, die bereit sind, die Ärmel hochzukrempeln und ihr neues Heim mit Fleiß und Geschick wieder auf Vordermann zu bringen. In einem der Objekte in Lehigh Acres ist der Zustand von Wänden und Teppichen nicht gerade einladend. »Hier ist viel Arbeit nötig«, sagt Marc Joseph. Ein junger Mann winkt ab. »Das kann ich niemals alles renovieren«, erzählt er. Auf der Bustour fährt er heute zum ersten Mal mit. Dass alle Häuser, die hier angeboten werden, unfreiwillig verlassen wurden, stört ihn nicht: »Ich muss die Leute ja nicht persönlich rausschmeißen.«Eine 22-jährige Mitfahrerin denkt darüber nach, sich zusammen mit ihrem Freund eigene vier Wände zu leisten.
Das nächste Haus gefällt ihr. Der letzte Käufer zahlte für die Immobilie im Dezember 2005 noch 295.500 Dollar – heute wird sie für 121.900 Dollar angeboten. Dennoch hat die Bank seit der Zwangsvollstreckung vor mehreren Monaten keinen Käufer gefunden. Da der vorherige Besitzer seine Hypothek nicht mehr zahlen konnte, ging das Haus zurück an die Bank. Nur 3.000 bis 5.000 Dollar seien nötig, um es einzugsfertig zu machen, rechnet Joseph vor – und wirbt mit einer Faustregel: »Wer ein Eigenheim in Raten abbezahlt und dafür pro Monat weniger ausgibt als für die Miete in einem vergleichbaren Haus, kann nichts falsch machen.«Eigentlich hatte sich Marc Joseph zu seinem 40. Geburtstag eine Dodge Viper oder Corvette kaufen wollen – am Ende entschied er sich für den grünen Bus und eine ungewöhnliche Geschäftsidee.
Ein Schritt, den er nicht bereut hat. »Ich habe momentan mehr Spaß als jemals zuvor in meinem Berufsleben«, sagt er voller Überzeugung. »Man muss in einem Markt wie diesem halt nur ein bisschen Fantasie aufbringen.« Tatsächlich waren auf Floridas Immobilienmarkt der Fantasie lange Zeit keine Grenzen gesetzt. Massenhaft hatten die Käufer während der vergangenen Jahre Kredite zum Erwerb von Eigenheimen und Appartements aufgenommen. Doch irgendwann war der Immobilienmarkt überspekuliert, inflationsträchtig.
Und als der ehemalige amerikanische Notenbankchef Alan Greenspan im Sommer 2004 erstmals wieder die Leitzinsen erhöhte, begannen wenig später auch die für Hypotheken maßgeblichen langfristigen Zinsen zu steigen. Irgendwann konnten viele ihre Hypothekenraten nicht mehr bezahlen. Sie blieben auf Darlehen sitzen, die sie unter normalen Umständen niemals hätten bekommen dürfen, so genannten »Ninja«-Darlehen: »No income, job, assets« – es sind Schuldner, die ein extrem hohes Risiko bergen.
Der US-Senat schätzt, dass bis 2009 insgesamt zwei Millionen Häuser zwangsversteigert werden. Es dürfte ziemlich egal sein, ob Barack Obama oder John McCain die kommende Präsidentschaftswahl gewinnt, glaubt Rainer N. Filthaut, Immobilienmakler in Naples und Chef der hiesigen German American Business Chamber. »Die Zahl der Zwangsversteigerungen wird in den USA bis Ende nächsten Jahres und sogar darüber hinaus weiter ansteigen.«Filthaut geht davon aus, dass es momentan für die Krise auf dem Immobilienmarkt keine schnelle Lösung gibt. »Die Probleme müssen langfristig abgearbeitet werden. Dies wird das Preisniveau für Immobilien unter einer Million Dollar noch für zwei bis drei Jahre auf niedrigem Niveau halten.« Doch für Investoren mit Cash, so der Immobilien-Profi, böten sich momentan allemal jede Menge »Schnäppchen«.
Letzteres sieht auch Gerhard O. Jakobeit so. Seit Dezember 2007 registriert der Immobilienmakler aus Cape Coral insbesondere in den Gebieten, in denen die Wertsteigerung bis Ende 2005 überproportional war und der Preisverfall dann auch entsprechend stark ausfiel, eine steigende Nachfrage nach Immobilien. »Während in Cape Coral vor drei Jahren Häuser unter 200.000 Dollar kaum zu finden waren, gibt es heute Hunderte von Angeboten um die 100.000«, so Jakobeit. Und auch europäische Kunden, die in der Hoffnung auf weiter sinkende Preise lange in Lauerstellung verharrten, schlagen jetzt zu. Zu Recht, wie Jakobeit findet: »Es ist sicher nicht abwegig zu prognostizieren, dass die beste Zeit für Europäer, eine Immobilie in Florida am preisgünstigsten zu erwerben, in diesem Jahr sein kann. Die günstige Konstellation von starkem Euro und schwachen Immobilienpreisen wird nicht ewig anhalten.
Szenenwechsel. Angereist sind sie in kurzen Hosen, Poloshirts und Hawaii-Hemden: braun gebrannte Rentner, aufgekratzte Hausfrauen, ein paar Typen im Beachlook. Lässige Urlaubsatmosphäre im Holiday Inn Hotel in Melbourne-Viera an der Ostküste Floridas. Man bedient sich am Büfett, nippt an der Diet Coke und blättert in den aufliegenden Broschüren. Im Hintergrund spielt eine Steelband karibische Rhythmen.
Auf der Bühne hat sich Marsha Wolak warm geredet. Zwanzig von insgesamt 250 Einheiten im Three Fountains Complex versteigert sie hier und heute. Na klar, sagt Wolak, ihr Geschäft laufe derzeit prächtig. »Auktionen sind ein prima Vehikel, Inventar zu bewegen.« Natürlich, so die blonde Unternehmerin, die im vergangenen Jahr Marsha Wolak Auctions gegründet hat, profitiere sie vom Abschwung eines Marktes, der vor drei Jahren noch auf Hochtouren lief. Aber was soll's – des einen Leid sei nun mal des anderen Freud ...
»Is Florida Over?« titelte das »Wall Street Journal« im September vergangenen Jahres – und sorgte damit für enormes Aufsehen und sehr viel Unmut. Wohl kaum. Aber nach vielen Jahren des Wachstums, niedriger Zinsen und kräftiger Preisanstiege – die letzte US-Immobilienkrise liegt immerhin 16 Jahre zurück – war eine Korrektur des Preisniveaus überfällig. Und da Florida in den vergangenen Jahren kaum noch Immobilien bot, die man als »preiswert« hätte bezeichnen können, erscheint eine Preisabflachung zumindest aus Sicht der Käufer nur als vernünftig. Nicht vergessen sollte man, dass es im Sunshine State nicht nur eine Immobilienblase, sondern viele gab.
Einige Luxus-Enklaven wie Port Royal in Naples oder Palm Beach zeigten sich relativ stabil, andere Regionen wie Cape Coral oder viele Rentner-Communitys bekamen die volle Wucht des Abschwungs zu spüren. In Miami, wo die Immobilieneuphorie zuweilen hysterische Züge angenommen hatte, sind allein in der Innenstadt derzeit noch fast 100 Immobilienprojekte im Bau. Doch auch hier kam die Realität dazwischen: Die Preise brachen dramatisch ein, die Kurzzeithypotheken wurden untragbar. Inzwischen versuchen viele Käufer verzweifelt, die Objekte wieder abzustoßen, bevor sie überhaupt fertiggestellt sind.
Die große Frage lautet nun: Können europäische Käufer die Nachfragelücke füllen? Immerhin winkt Euro-Zahlern aufgrund der Dollar-Entwicklung ein Preisvorteil von derzeit rund 50 Prozent allein aus dem Wechselkursgewinn. Wer als Selbstnutzer in Florida einsteigen will, hat nach Meinung vieler Experten jetzt die Gelegenheit, »Sahnestückchen« zu niedrigen Preisen zu bekommen, das heißt für Summen, die zum Teil nur noch die Hälfte dessen betragen, was zur Spitze des Booms verlangt wurde.
In zwei bis drei Jahren aber, so glauben viele, dürfte das derzeitige Überangebot in Florida wieder abgebaut sein. Bei sinkenden Preisen zu kaufen, ist für manche sicher ein Nervenkitzel und Pokerspiel. Tobias Kaiser, Immobilienberater in Fort Lauderdale, hält einen weiteren Preisverfall in bestimmten Märkten für durchaus vorstellbar. Immerhin: Die Florida Association of Realtors verzeichnete bei Eigentumswohnungen – auf Amerikanisch »Condominiums« oder kurz »Condos« – für Juni 2008 erstmals seit Monaten einen leichten Preisanstieg auf 183.700 Dollar gegenüber dem Vormonat.
Trotz der Welle von Zwangsversteigerungen stieg auch der durchschnittliche Hauspreis in Florida im Juni erstmals wieder im Vergleich zum Vormonat – auf 205.500 Dollar. Der Anfang einer Trendwende? Schwer zu sagen. Für Tobias Kaiser ist der Versuch, den Tiefpunkt des Marktes zu erwischen, ohnehin ein fast unmögliches Unterfangen. »Und wenn jemand in fünf Jahren darüber nachdenkt, dass er sein Ferienhaus noch zehn Prozent billiger hätte kaufen können, ist das vermutlich ziemlich irrelevant.«
Ina und Dr. Manfred Zapp aus Garmisch-Partenkirchen jedenfalls wollten nicht länger warten und erwarben ihr Traumhaus im Key-West-Stil am Intracoastal Waterway in Boca Raton. 1,25 Millionen Dollar zahlten die Deutschen für das Haus, das auf dem Höhepunkt des Booms noch für 1,9 Millionen Dollar angeboten wurde. Ihre Maklerin Sonny Schnabel kümmerte sich um alle Formalitäten und übernimmt für ihre Kunden jetzt die Vermietung des Anwesens. »Ich gehe davon aus, dass die Immobilie schon bald eine deutliche Wertsteigerung erfahren wird«, so Schnabel optimistisch. Der Florida-Traum der Zapps jedenfalls ist in Erfüllung gegangen. Ihr Fazit: »Wir sind glückliche Hausbesitzer – und haben in Sonny noch eine Freundin gewonnen. Was will das Herz mehr?«