Jüngere Florida-Reisende wähnen sich hier im Schlaraffenland. Da locken die mit Käse überbackenen Sandwiches, die Brote, dick belegt mit Roast- oder Corned Beef, da kann man sich kaum entscheiden zwischen Chilli's, Bob Evans, Applebee's, Mel's oder dem Outback-Steakhouse. Hier gibt es an jeder Ecke die Ernährung, die auch Deutsche unter Zwanzig oft für besonders lecker halten: Pizza, Pasta, Burgers und Fajitas. Was weder das eine noch das andere ist, wird paniert und frittiert, damit es genießbar wird. Zur Nachspreise gibt es überall warmen Schokoladenkuchen und alternativ den omnipräsenten Key-Lime-Pie.
Spätestens nach drei Wochen in Florida passen die Hosen nicht mehr und man möchte nur noch einen kleinen Salat. Aber ohne Hühnchen, bitte. Alles, was man hier zu essen bekommt, ist irgendwie gesüßt. Die Pizza ist zu dick und zu groß, die Pasta ist zu weich und lässt sich schlecht um die geschmacklosen, gummiähnlichen Meatballs wickeln, die Burger erhalten ihren Geschmack ausschließlich vom Ketchup und das Fleisch für die Fajitas ist steinhart. Selbst ursprünglich ganz gesunde Nahrung wie Seafood oder Hühnchen wird in der Friteuse zur Kalorienbombe und wer nicht nach drei Wochen bei Walgreens nach Acid sucht, hat wohl einen Pferdemagen.
Wer ein halbes Jahr in Florida bleibt, braucht nicht nur einen Pferdemagen, sondern eine Menge Geld. Denn die Alternative zu dem hier angebotenem Essen heißt: Selber kochen. Also beispielsweise so etwas wie ganz ordinäre Bouletten mit hausgemachtem Kartoffelsalat. Oder einfach nur ein paar leckere Spaghetti al dente mit irgendeiner schnell selbst gerührten Sauce. Oder man schmeißt Steak, Würstchen oder Fisch und Gemüse auf den Grill. Das aber setzt voraus, dass man einkaufen geht. Und das ist hier sehr viel teurer als Essen gehen. Während man zu Zweit bei Chili's für ein drei Gänge-Menu ungefähr 60 Dollar ausgibt – inklusive zwei Bier und zwei Margarita, (drink one, get one free), muss man allein für einen Bouletten-Kartoffelsalat-Abendbrot-Einkauf bei Publix mit rund einhundert Dollar rechnen. Ich bin in den vergangenen sechs Monaten nicht einen einzigen Tag unter 130 Dollar bei Publix rausgekommen.
Das dürfte wohl der Grund sein, warum ärmere Amerikaner hier dick sind. Wer sparen muss, kocht nicht selbst, sondern geht abends zu Chili's, isst sich satt und nimmt noch ein Doggie-Bag mit für den nächsten Tag. Die Portionen sind so bemessen, dass es locker für zwei Tage reicht. Frühstück und Mittagessen inklusive.
Mel's Diner - Lunch für neun Dollar
Für den gemeinen Mitteleuropäer ist das auf Dauer einfach keine Ernährung. Oh, natürlich gibt es hier auch "gute" Restaurants. Das sind die, wo das Entree, sprich Hauptgericht, 30 Dollar kostet und mit einem Brimborium serviert wird, als ob es sich um Sterneküche handelt. Dabei handelt es sich um - na rate mal. Genau. Siehe oben.
Beispiel: Gestern mittag in Naples. Endlich ein Italiener, der aussieht, als ob es ein echter Italiener sei. Wir gieren nach Carpaccio, Vitello Tonato und vor allem nach einem echten Cappucino. Den haben wir hier in sechs Monaten nicht bekommen. Schon bei der Tischdeko ist klar, der Wirt muss wenigstens schon mal in Italien gewesen sein. Schönes Steingut, rustikale Stoffservietten, Olivenöl-Kännchen und Pamesantöpfchen auf dem Tisch. Und dann kommt die Speisekarte und eine extra Karte für "unser Sommermenü". Hoffnungsfroh greifen wir zu Karte und Sehhilfe. Es gibt: Pasta, Pizza und grünen Salat. Das Sommermenü besteht aus zwei der drei Komponenten. Och nö, ehrlich?
Melting Pot Amerika, so haben wir es mal in der Schule gelernt. Menschen unterschiedlicher Nationalität brachten das Beste mit, was Küche und Keller ihrer Heimat zu bieten hatten. Und dann sollte man meinen, dass im Laufe der Jahrhunderte etwas Eigenes daraus entstand. Aber mehr als Tex-Mex Food, fettige Frittaten und Pasta und Pizza mit der Konsistenz von Marshmallows ist daraus nicht entstanden. Jedenfalls nicht hier in Florida.
Wobei die großen Ketten neben dem reellen Preis einen Vorteil bieten, der uns erst auf unserer Reise nach Mississippi aufgefallen ist. Da wir ausgemachte Langschläfer sind, haben wir grundsätzlich auf das sowieso meist belanglose Frühstück in den Hotels verzichtet und uns mit nüchternen Mägen on the road begeben. Auf der Autobahn gibt es vor jeder Ausfahrt ein großes Schild, auf dem die jeweiligen Restaurantketten, die hinter der Autobahnausfahrt liegen, angegeben sind. Wenn man also morgens Lust hatte auf Country Eggs Benedict, dann hat man nach einem Perkins Ausschau gehalten, was meist nicht länger als ein bis zwei Ausfahrten auf sich warten ließ. Stand einem der Sinn nach Pekan-Waffeln, war garantiert hinter einer der nächsten Ausfahrten ein Waffle-House zu finden. Rüherei, Speck und Würstchen? Denny's oder Bob Evans. Und einen Iced Tea im Thermobecher gibt es als kostenlosen Refil mit auf den Weg. Schnelles Mittagessen? Hinter Ausfahrt 32 wartet das Büfett von Golden Correl. Lieber Seafood? Red Lobster. Egal, woher du kommst und wohin du fährst, du weißt, was dich erwartet.
Was dich erwartet, weiß du auch, wenn du an einem Restaurant vorbei kommst, vor dem ungefähr vierzig Leute mit einem Drink in der Hand warten. Man kann dort nur Plätze vorbestellen, wenn man mindestens mit einer "Party of eight" ankommt, ansonsten gilt das deutsche Arztwartezimmer-System, das heißt: Nimm dir was zu Lesen mit. Das sind die Läden, die sich zum Beispiel auf Seafood spezialisiert haben, vorzugsweise an Yachthäfen platziert. Hier kriegt man nach angemessener Wartezeit alles, was schwimmen und am Strand krabbeln kann, inklusive dem angemessenem Werkzeug wie Hammer und Nussknacker. Geknackt werden die in einer fettigen Sauce gekochten Snow-, Stone- oder Blue-Crabs direkt auf der Papiertischdecke, was in etwas so appetitanregend ist wie ein Gang zum Proktologen. Selbstverständlich hält das niemanden davon ab, die beim Krebse-Schlagen kalt gewordenen Pommes mit nach Hause zu nehmen. Yummy, yummy!
(Foto: © Nika Lubitsch)