Wahllokal-Schild in Fort Lauderdale
Eine Aufforderung, die befolgt wird: Schilder wie dieses sieht man derzeit nicht nur in Florida an vielen Orten. (Foto © Jillian Cain Photography/Shutterstock.com)
Laut einem Bericht von Politico wurde in Florida am vergangenen Montag bereits ein neuer Rekord aufgestellt: Mindestens 350.000 Menschen strömten in die Wahllokale, um ihre Stimmzettel einzuwerfen, so viele wie noch nie zuvor an ersten Tag der Vorauswahlperiode im Sunshine State, die noch bis zum 31. Oktober dauert. Bereits vor der Öffnung der Wahllokale um 7 Uhr morgens bildeten sich in einigen der größten floridianischen Countys die ersten Warteschlangen. Auch der Regen, der Teile Südfloridas durchnässte, hinderte viele nicht daran, frühzeitig ihre Stimme abzugeben. In insgesamt 52 der 67 floridianischen Countys begannen die "early votings" bereits am Montag, in den übrigen 15 kann ab kommendem Samstag gewählt werden.
Solche Vorauswahlen gibt es derzeit in 33 der 50 US-Bundesstaaten sowie dem District of Columbia. Angesichts der Corona-Pandemie haben die meisten Bundesstaaten die Möglichkeiten, per Voraus- beziehungsweise Briefwahl zu wählen, ausgedehnt, wie der Business Insider berichtet. Überhaupt verspricht die Beteiligung bei diesen Präsidentschaftswahlen relativ hoch zu werden: Bis zum Mittwoch hatten laut Tampa Bay Times in Florida bereits über 2,95 Millionen Bürger per Briefwahl ihre Stimme abgegeben, die hier bereits seit Anfang Oktober möglich ist – bei den Präsidentschaftswahlen 2016 waren es insgesamt nur 2,73 Millionen. In den gesamten USA hatten am 15. Oktober schon 18 Millionen Wähler abgestimmt, was 13 Prozent der Stimmen entspricht, die 2016 insgesamt abgegeben wurden.
Um den Enthusiasmus für den demokratischen Kandidaten Joe Biden zu befeuern, hielt Bidens Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris am ersten Tag der "early votings" in Florida in Orlando und Jacksonville Wahlkampfveranstaltungen ab. Die beiden Orte wurden nicht zufällig ausgewählt: Orlando liegt im sogenannten "Interstate-4-Korridor", einem insgesamt 19 County umfassenden Streifen, dessen Einwohner dafür bekannt sind, mehrheitlich mal zum einen, mal zum anderen politischen Lager zu tendieren. Jacksonville dagegen war lange eine republikanische Hochburg, die bei den Halbzeitwahlen zu Repräsentantenhaus und Senat 2018 erstmals seit langer Zeit von den Demokraten erobert wurde. Diese hoffen nun darauf, dies bei den Wahlen in diesem Herbst, bei denen neben dem Präsidenten auch das Repräsentantenhaus sowie ein Drittel des Senats neu gewählt werden, wiederholen zu können.
Florida kommt bei den Präsidentschaftswahlen eine besondere Bedeutung zu, da es zu den sogenannten "Swing States" gehört, die sich aufgrund der Wahlergebnisse der letzten Jahrzehnte nicht eindeutig einem der beiden politischen Lager zuordnen lassen. Zudem zählt es wegen seiner relativ großen Bevölkerung zu jenen Staaten, die die meisten Wahlmänner stellen, von denen der Präsident gewählt wird. Experten gehen daher davon aus, dass Donald Trump in Florida siegen muss, um US-Präsident bleiben zu können. Die bereits ausgezählten Wahlzettel ergeben US-weit einen deutlichen Vorsprung für die Demokraten, der in Florida allein bei den Briefwahlstimmen bei 450.000 liegt. Da aber angesichts der Tatsache, dass Präsident Trump die Briefwahl als angebliches Betrugsinstrument der Demokraten angeprangert hat, davon auszugehen ist, dass die Mehrzahl seiner Wähler nicht per Brief abstimmen wird und viele wohl erst am 3. November ins Wahllokal gehen werden, bedeutet dieser Vorsprung noch längst nicht, dass Joe Biden die Präsidentschaft sicher ist. Ungeachtet seiner immer wieder öffentlich vorgebrachten Vorbehalte gegenüber dieser Form der Wahl wählten Donald Trump und seine Frau Melania übrigens in der Vergangenheit regelmäßig per Brief.
Nicht nur aufgrund der coronabedingt diesmal relativ großen Bedeutung der Briefwahl bereitet sich hinter den Kulissen bereits ein Heer von Anwälten auf den Fall vor, dass es wie zuletzt bei der Präsidentschaftswahl im Jahr 2000 zu einem knappen Ergebnis und infolgedessen zu einem juristischen Nachspiel um den Wahlsieg kommt. Damals wurde der Gewinn der Wahlmänner des Bundesstaates Florida und damit der Wahlsieg durch George W. Bush von 537 Wählerstimmen entschieden, die Bush seinem Konkurrenten Al Gore voraushatte. Drehten sich die rechtlichen Auseinandersetzungen seinerzeit um nicht korrekt ausgestanzte Papierrückstände in Lochkarten, mittels denen die Wähler über Wahlmaschinen ihre Stimmen abgegeben hatten, dürfte es im Fall eines engen Wahlausgangs diesmal aber vor allem um die Frage gehen, ob Millionen von Briefwahlstimmzetteln ordnungsgemäß unterschrieben, verschlossen und rechtzeitig abgeschickt wurden.
Die Fronten zwischen den beiden politischen Lagern sind in einer Weise verhärtet, die etwa in Deutschland undenkbar wäre und teils geradezu paranoid anmutende Züge annimmt: Wie der Miami Herald berichtet, befürchten Vertreter der Republikaner wie der Anwalt Nelson Diaz, Vorsitzender der Republikanischen Partei im Miami-Dade County, nach eigenen Angaben vor allem das illegale "Abernten" von Briefwahlstimmzetteln durch Leute, die diese bei Wählern abholen und in den jeweiligen Wahlbüros abliefern. Demgegenüber wirft Diaz’ Berufskollege Steve Simeonidis, der den Demokraten des Miami-Dade Countys vorsteht, den Republikanern vor, Menschen aus politischen Gründen vom Wählen abzuhalten: So werde "Hunderttausenden von Straftätern" in Florida auch nach der Verbüßung ihrer Strafe das Wahlrecht verwehrt.
Wie die Wahl auch immer ausgeht – es dürfte lange dauern, bis der Riss, der durch die amerikanische Gesellschaft geht, zumindest wieder halbwegs gekittet ist.